Dienstag, März 23, 2010

Identität und Social Networks



Aus "Wir Facebook-Schauspieler" von Lara Fritzsche


(...) Und nur darum geht es bei Facebook. Alles, was wir online tun, folgt nur dem Ziel, dafür bezahlt zu werden, in der härtesten Währung unserer Zeit: Aufmerksamkeit. Die ist deshalb so kostbar, weil die Möglichkeiten, sie zu verteilen, so zahlreich sind. Wir empfangen dreißig Fernsehsender und können doch nur einem Programm folgen, wir können jedes Buch der Welt bestellen und trotzdem immer nur eins lesen, das Internet ist voller Informationen, und dennoch können wir nur eine nach der anderen aufnehmen. Wir haben hunderte Freunde und können trotzdem immer nur einem zuhören. Für die Fülle der Möglichkeiten fehlt uns schlicht die geistige Kapazität. Aufmerksamkeit ist kostbar.

Deshalb belohnen wir die, die es uns einfach machen. Für einen Post übers Wetter und das dazugeladene Foto eines Schneemanns gibt es sechs Kommentare von "Ohh, wie süß" bis "Selber gemacht?". Für ein schlaues Statement über die Sprunghaftigkeit von Sigmar Gabriel gibt es keinen. Da überlegt man es sich beim nächsten Mal schon genau, ob man noch mal Weisheiten rumschickt oder vielleicht doch lieber Banalitäten in Bildform. Denn so eine Statusmeldung, die keiner beachtet, auf die keiner Bezug nimmt, die kann sehr, sehr traurig aussehen in der langen Liste der Neuigkeiten.

Um uns Aufmerksamkeit zu sichern, präsentieren wir uns online in einer Version ohne Brüche und Unstimmigkeiten. Der Typ, der an einem Tag aus Mosambik postet und das Elend der Welt beklagt, eine Woche später Fotos seiner drolligen Katzenbabys hochlädt und darauf wiederum einen Haufen Videos der lustigsten Hitler-Parodien anbietet, der kommt uns komisch vor. Seine Undurchsichtigkeit empfinden wir als anstrengend. Schließlich wollen wir doch nur unsere Kontakte verwalten und uns nicht jeden Tag wieder neu auf jemanden einstellen. Martin ist der Ernste, Leah die Sensible, Felix ist der Entertainer und Sarah die Schlaue. Und so soll das gefälligst auch bleiben.

Daumen hoch für solche, die spannend sind, interessant, süß, lustig, abgedreht, schlau, cool, verrückt - wie auch immer, Hauptsache kurzweilig, einprägsam und kohärent. Wie es euch gefällt - ist die Weisung der Stunde. Dabei entfernen wir uns von dem, was uns außergewöhnlich macht, und posten stattdessen nur das, was unmissverständlich ist. Werbung statt Wahrheit.(...)


(Ganzer Artikel)

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