Mittwoch, Februar 25, 2009
Buchtipp: Lost and Sound
Ein neues Berlin entsteht, und keiner kriegt es mit. Fast keiner natürlich, irgendjemand muss es ja bauen. Doch angesichts der Größe des Phänomens und des Rufes wie Donnerhall, der sich überall auf der Welt verbreitet hat, war es doch einigermaßen verwunderlich, wie oft ich bei der Arbeit an diesem Buch von Leuten, die nicht direkt mit elektronischer Musik zu tun haben, erstaunt angeblickt wurde, wenn ich umriss, worum es gehen soll: Techno? Wirklich? Das gibt es noch?
Zur Erinnerung: Berlin war die Stadt, die diese Musik mit prägte. [...] Die Sache wurde rasch größer, das E-Werk hatte schon einen populistischeren Sound, die Love Parade verwandelte sich innerhalb weniger Jahre vom Insiderscherz zur Millionenveranstaltung und wurde live im Fernsehen übertragen. Als der Schriftsteller Rainald Goetz die Love Parade bejubelte, sorgte das noch für Streit, als Gotthilf Fischer dort auftrat, hatten die Zeitdiagnostiker das Interesse schon lange verloren. Techno, so konnte es einem vorkommen, hatte sich von einer Subkultur in eine Selbstparodie verwandelt. Und im avancierten Pop erlebte der rüpelhafte und charismatische Rockstar sein Comeback. Die Gitarren wurden wieder ausgepackt. Techno war eine Jugendkultur der Neunziger, historisiert und offiziell tot.
House, Techno, Electro, Minimal - wie auch immer man es nennen möchte - gibt es immer noch, und in Berlin ist diese Musik und die dazugehörige Szene größer, vielfältiger und interessanter als je zuvor. Noch nie hatten die Clubs der Stadt eine solche Anziehungskraft wie das Berghain, das Watergate, das Weekend, die Bar 25 und andere gerade jetzt. [...]
In Zeiten, wo ein Großteil der Geschichten, die eine Kultur von sich erzählt, von prominenten Personen handelt, wo ein heiß drehender Celebrity-Kult die gesamte Gesellschaft beherrscht, ist es gut zu wissen, dass zumindest ein kulturelles Segment übrig geblieben ist, in dem man das Promi-Sein für das hält, was es ist: Zeitverschwendung.
Keine Stars also. Und auch keine Werbepartner. Jeder, der in den Neunzigern ausgegangen ist, wird sich erinnern, wie omnipräsent Zigarettenfirmen und Mobiltelefonanbieter damals in den Clubs waren. Auch das ist vorbei. Bis auf den Getränkekonzern Red Bull haben sich die sichtbaren Sponsoren aus der Technoszene zurückgezogen. [...] Die Technoszene hat die guten Seiten einer Independent-Kultur - ökonomische Unabhängigkeit, künstlerische Integrität, Kompromisslosigkeit - bewahrt und die schlechten, also verkürzte Kapitalismuskritik, Idealisierung der Selbstausbeutung und Unprofessionalität einfach weggelassen. Der popkulturelle Idealzustand und das genaue Gegenteil jener Rock- und Popmusik, die heute Indie genannt wird und sich zwar meist so anhört, aber nur selten unabhängig ist. [...]
Für mich und viele andere, die ich in den vergangenen zwanzig Jahren in Berlin getroffen habe, war das der Club. Der Ort, an dem Geschichte gemacht wird, an dem man das Gefühl hat, sein eigenes kleines Treiben sei Teil eines großen Jetzt. Auch darum soll es gehen: die Bedingungen der Möglichkeit des Tanzflächenglücks zu beschreiben. Dieses Glück ist flüchtig und nicht planbar. Man weiß zwar, welche DJs man mag und welche Musik zu einem passt. Aber ob ein Abend diesen bestimmten Moment vorgesehen hat, lässt sich niemals voraussagen. Es passiert oder es passiert eben nicht. Dafür bleibt man dann lange bis in den nächsten Tag hinein.
"Lost and Sound - Berlin, Techno und der Easyjetset" ist seit Montag im Handel erhältlich.
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